Dings Zine #02 – Julia

Für das Februar-Zine hatte ich ziemlich schnell eine Idee. Ich wollte es ganz lokal halten und einen Fotospaziergang durch meine Straße machen. Hab ich auch. Nachdem ich mir dann an einem eiskalten Sonntagmorgen beim Knipsen fast die Finger abgefroren sind und ich den Nachmittag mit Auswahl und Bearbeitung verbracht hatte, fiel mir leider auf, daß wir uns ja auf 2/0-Farbigkeit geeinigt hatten. Also landeten alle Fotos bei mir im Blog und ich brauchte eine neue Idee. Da diese sehr textlastig ist, gibt es nicht nur die digitale Issuu-Version (in der Realität existiert natürlich auch eine gedruckte Ausgabe (mit roter Fadenheftung!)), sondern nach dem Break eine lesefreundlichere Textfassung.

 

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Da ist dieser Laden. Etwas außerhalb, bei der Fabrik. Ich bin schon ein paar mal vorbeigefahren. So langsam es ging, ohne auffällig zu sein. Viel Betrieb ist da nicht. Aber wenn gerade jemand entlangkommt, der mich kennt? Ich würde natürlich gehen, wenn nicht gerade Schichtwechsel ist … aber trotzdem. Vielleicht steht gerade jemand an der Ampel. Oder benutzt den Parkplatz. Die Brinkmann zum Beispiel, aus der Buchhaltung, die geht da manchmal mit dem Hund. Wenn die mich da sieht! Im Internet habe ich natürlich auch schon geguckt. Da gibt es viele solche Shops. Aber das Bezahlen ist schwierig. Es steht dann ja auf dem Kontoauszug. Und wohin soll ich es schicken lassen? Auf die Arbeit vielleicht … aber wenn die vom Empfang es aus Versehen aufmachen? Aber selbst wenn es da ist … wo soll ich es hintun? Ins Schlafzimmer auf gar keinen Fall. Nicht mal ganz hinten in den Schrank. Vielleicht in den Abstellraum? Aber da wühlt die Putzfrau manchmal in allen Regalen, wenn sie keinen Lappen findet. Oder in den Keller? Aber wenn es wieder ein Unwetter gibt … beim letzten Mal war alles überschwemmt, wir mussten jede einzelne Kiste aufmachen und prüfen, was drin ist. Wie peinlich das wäre! Der Dachboden? Da geht nie jemand hin. Aber wenn jemand sieht, wie ich da raufgehe … wie soll ich das erklären?

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Auf dem Foto sieht sie schon geil aus. Wahrscheinlich hat sie ’nen Filter benutzt. Aber so viel kann ’n Filter auch nicht reißen. Die ist echt schön. Hat bestimmt dauernd Dates. Kann gar nicht sein, dass irgendwer die nicht will. Keine Ahnung, warum sie bei mir ja gesagt hat. Vielleicht aus Mitleid. Obwohl. So schlecht seh ich auf dem Bild gar nicht aus. Naja. Ist auch zwei Jahre alt. Vielleicht ist es nur ’n Spaß. Sie bringt ihre Freundin mit. Die sitzt unauffällig in Hörweite. Irgendwann sagt sie, sie muss zum Klo, sie geht in die Richtung aber verschwindet unauffällig durch die Küche und die Freundin haut natürlich auch ab und dann gehen die irgendwo anders hin und trinken Cocktails und erzählen sich wie schlimm ich war und machen sich lustig über meine Klamotten und meine Frisur und wie peinlich ich geredet hab und die Freundin hat Fotos gemacht und mein Gesicht sieht komisch aus darauf und grinse voll peinlich und mache seltsame Sachen mit meinen Armen, und die posten das bei Facebook und alle ihre Freundinnen antworten mit „Haha! Was für’n Loser!“ oder dem Emoji, was vor lachen weint, und sind froh, dass sie nicht auf dem Date waren und auf der nächsten Party erzählt sie völlig übertrieben vom schlimmsten Date ihres Lebens und alle hören begeistert zu und lachen und wissen genau, zu welchem Profilfoto die Geschichte gehört und erkennen mich auf der Straße und lachen und tuscheln und keine drückt auf ja wenn ihr mein Account vorgeschlagen wird. Hoffentlich gefällt ihr die Bar. Die haben da ’nen super DJ. Ich rieche voll nach Bier. Gleich erstmal Kaugummis kaufen.

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Ich vermisse ihn. Wie lange dauert das denn noch?

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Endlich mal ein Moment nur für mich. Den hab ich mir verdient. Ich hatte die ganze Woche noch keine Sekunde nur für mich. Aber jetzt. Das muss ich genießen. Ach, ich muss ja noch die Sachen aus der Reinigung holen. Da ist ja auch der Buchladen um die Ecke, da kann ich dann auch kurz vorbei. Vielleicht ist die Bestellung schon da. Sonst geh ich am Samstag noch mal. Da muss ich eh in die Stadt. Das Geschenk für Tobias abholen. Und die Torte muss ich auch noch backen. Sind dafür noch alle Zutaten im Haus? Ach, ich geh ja eh noch in den Supermarkt. Fürs Abendessen morgen ist auch nichts da. Können wir morgen überhaupt ein Pausenbrot schmieren? Ach, ich spring besser gleich noch kurz beim Bäcker rein. Und Aufschnitt? Hier ist doch dieser gute Metzger in der Nähe. Den wollte ich schon lange mal probieren. Diese Ruhe. Herrlich. Gleich zu Hause nur noch ein paar Sachen bügeln. Ach, und die Sportsachen muss ich noch waschen. Die will ich morgen früh zum Laufen anziehen. Während die im Trockner sind, kann ich endlich den Pullover flicken. Ach, und an der roten Jacke muss ein Knopf angenäht werden. Hab ich noch passendes Garn? Ich kaufe besser welches, sicher ist sicher. Wie entspannend das hier ist. Ach, das Hundefutter! Fahr ich auf dem Rückweg noch schnell vorbei. Und da ist ja auch der Elektronikmarkt nebenan. Wir brauchen neue Batterien, und die linke Lampe im Bad ist kaputt. Ach, den Klempner muss ich ja auch noch anrufen. Nach dem 9-Uhr-Meeting morgen mache ich das. Die Unterlagen dafür muss ich morgen früh im Büro drucken. Habe ich nicht heute die letzte Packung Druckerpapier angebrochen? Im Lager ist sicher noch was. Aber ich komme lieber eher, falls doch was schiefgeht. Ich muss auf jeden Fall den Wecker früher stellen. Dann kann ich auch unterwegs noch einen Kaffee holen, es ist kein Pulver mehr zu Hause. Aber jetzt erstmal ganz gemütlich hier sitzen.

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Das war der beste Sommer. Der Stall war frisch renoviert und neben dem Silo lagen jede Menge alte Bretter. Du meintest, wir sollten damit ein Floß bauen. Wie bei Huckleberry Finn. Du hast immer so viel gelesen. Unter größter Anstrengung haben wir dann alles runter zum Fluss getragen. Der Fluss war nicht besonders breit, aber in dem Sommer war es für uns mindestens der Mississippi. Du hattest dieses Buch – natürlich, Du hattest tausend Bücher, über alles was man wissen musste oder auch nicht – in dem stand, wie man ein Floß baut. Ein paar Nachmittage waren wir beschäftigt. Vater hat immer gelacht, wenn wir mit ausgebeulten Taschen aus dem Werkzeugschuppen kamen. Er den Hut abgenommen, sich den Schweiß abgewischt und den Kopf geschüttelt. Mutter hat uns Brote geschmiert. Irgendwann sah unser Bretterhaufen wirklich aus wie ein Floß. Wir hatten sogar einen Mast. Oben hattest Du Dein Taschentuch als Fahne drangeknotet. Mutter hast Du erzählt, Du hättest es verloren. Um das Floß ins Wasser zu bringen, hatten wir uns die flache Stelle direkt hinter der Brücke ausgesucht. Du bist zuerst draufgeklettert – Du warst immer viel mutiger. Ich stand im Wasser und hielt das Floß fest. Es gab viel mehr Wellen als wir erwartet hatten – das Floß hob und senkte sich, als wären wir auf hoher See. Du hast Dich zu mir runtergebeugt und mir die Hand gegeben, damit ich besser raufkomme. Ich hatte gerade das Knie auf der Kante aufgesetzt, als eine Welle kam. Das Floß machte einen Satz in die Höhe, ich ließ vor Schreck Deine Hand los, Du konntest Dich nicht mehr halten und fielst seitwärts ins Wasser. Das Floß wurde von der Strömung weggezogen. Du rührtest Dich nicht. Ich heulte und hatte Angst und zerrte an Dir, bis Du an Land warst. An Deiner Schläfe war eine riesige Wunde. Hätte ich bloß Dein Taschentuch gehabt, um das Blut abzuwischen. Ich rüttelte an Dir, bis Du endlich die Augen aufgemacht hast. Ich habe so getan, als würde ich Dich stützen – in Wirklichkeit hast Du eher mich festgehalten. So kamen wir zurück zum Hof – beide völlig durchnässt, ich heulend, Du blutend. Mutter hat gar nichts gesagt, nur geseufzt und Deine Wunde gesäubert und uns Handtücher geholt und trockene Sachen. Abends hat Vater uns heißen Kakao gebracht und uns einen besonders dicken Gutenachkuss gegeben. Du hast gegähnt und gesagt, das schöne Floß, warum hast Du es nicht festgehalten, morgen müssen wir uns was neues ausdenken. Deine Narbe hat mich immer daran erinnert – an diesen Sommer.

 

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Diese verdammte Kuh! Das ist doch echt unverschämt, das kann die doch nicht machen, was fällt der überhaupt ein! Die dumme Schlampe, die glaubt echt, sie kann sich alles erlauben, aber nicht mit mir! Nicht mit mir! Wär ja noch schöner, wenn die damit einfach so durchkommt, die Bitch! So kann die echt nicht mit mir reden, die weiß gar nicht, wen die vor sich hat, das geht so nicht! Die muss echt mal aufpassen, was die sagt, die kriegt sonst noch mal richtig Stress, wenn die immer so viel Müll labert! Die hässliche Alte soll ihre Fresse halten, das geht echt gar nicht, warum mischt die sich da überhaupt ein! Das kriegt die alles wieder, echt, die wird nie wieder so ’ne Scheiße erzählen! Die soll sich um ihren eigenen Dreck kümmern und mich in Ruhe lassen! Die kann doch nicht rumlaufen und so viel Bullshit reden, die soll mal chillen und ihr dreckiges Maul halten!

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Ich wollte das nicht. Wäre ich nur zu Hause geblieben. Hätte ich nur einen Augenblick nachgedacht. Ich hätte ahnen können, dass sowas passiert. Ich hätte es wissen müssen. Wenn ich die Nachricht einfach ignoriert hätte, hätte ich jetzt kein Problem. Dann wäre alles noch gut. Wenn ich die Nummer neulich einfach geblockt hätte, hätte ich die Nachricht gar nicht erst gesehen. Das hätte nicht passieren dürfen. Wenn ich eine Minute später losgegangen wäre, hätte ich die Bahn verpasst. Dann wäre ich umgekehrt und es wäre nichts passiert. Wenn ich früh ins Bett gegangen wäre, so wie ich es eigentlich vorhatte, dann hätte ich schon geschlafen, als die Nachricht kam. Ich hätte den Wein nicht trinken sollen. Dann wäre das garantiert nicht passiert. Warum konnte das Gewitter nicht eine halbe Stunde eher losgehen? In dem Regen wäre ich sicher nicht rausgegangen. Hätte ich bloß alles anders gemacht. Ich wollte das nicht.

 

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