Wir waren in Frankfurt

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Kürzlich überkam mich der dringende Wunsch, endlich mal wieder grüne Soße zu essen, weshalb ich eine Reise nach Frankfurt erwog. Etwa zur gleichen Zeit erfuhr Diana unabhängig von meinen Speisegelüsten überhaupt erst von der Existenz dieser Soße. Als wir uns dieses schicksalhaften Zufalls bewußt wurden, gab es nur eine logische Schlußfolgerung: wir verbinden das Leckere mit dem Schönen und machen einen Wandertag in den Süden.

Also taten wir, was vor einer Bahnreise zu tun ist:

Eine Bahnreise steht bevor und da ist ja wohl völlig klar, was zu tun ist.

Ein von jottkah (@jott_kah) gepostetes Foto am

Neben gekochten Eiern durften natürlich auch Piccolos (heißt es im Plural möglicherweise Piccoli?) nicht fehlen, um uns im Großraumabteil richtig beliebt zu machen. Aufs quiekende „Pröööösterchen“ haben wir allerdings verzichtet. Ebenso auf Leberwurststullen und Frikadellen. Für die nächste Reise ist also noch Luft nach oben. (Leberwurstgeschwängerte Luft, versteht sich.)

Nach einer angenehm unspektakulären Fahrt durch schöne Landschaft und viel zu viele Tunnel (Ohrendruck!) erreichten wir mit nur ungefähr 15 Minuten Verspätung Frankfurt. Es regnete. Aber half ja nix, wir liefen also erstmal los. Und fanden direkt innerhalb der ersten fünf Minuten umfangreiches Material für Dianas Sammlung nichtessbarer Rieseneise.

Inmitten der Rieseneis-Sichtung wagten wir einen Abstecher in die Kaiserpassage, die eine von mir vorab konsultierte Publikation als herrlich skurrile Ansammlung verschiedenster Lädchen angepriesen hatte. War sie auch. Zwischen den Geschäften verteilte sich eine Ausstellung von schwarz-weiß Fotos und mittendrin befand sich ein temporärer (?) Ausstellungsraum, der allerdings leider geschlossen hatte. Geöffnet hatten stattdessen unter anderem das billige Reisebüro, der Markt mit den arabischen Groschenromane in Grabbelkisten und der Laden mit den prunkvollen, farbenfrohen Gewändern, aber da hatten wir gerade nicht so Bedarf.

Aufgrund des Wetters überlegten wir, daß ein Museumsbesuch vielleicht ganz praktisch wäre, als Dianas Adleraugen auch schon ein sehr ansprechendes Ausstellungsplakat entdeckten: „The Happy Show“ von Stefan Sagmeister. Zugegebenerweise assoziierten wir mit Herrn Sagmeister auf Anhieb erstmal nur die „Ach, ritz ich mir die Infos halt in die Brust“-Aktion, gingen aber davon aus, in der Ausstellung sicher ein paar blutige inspirierende Arbeiten sehen zu können. Also marschierten wir los in Richtung anderes Ufer. (Höhöhö. Entschuldigung.)

Auf dem Weg dorthin machten wir einen kurzen Sightseeing-Stopp am Römer, guckten scheußliche Stadt-T-Shirts an und ich erwarb eine Postkarte, die vermutlich bereits seit den 80ern ihr Dasein im Postkartenständer des Souvenirladens fristete. Wir spazierten über den Eisernen Steg und bewunderten die zahlreichen Schlösser (naja, so zahlreich nicht, in Köln sind viel mehr!), deren BesitzerInnen wahrscheinlich schon alle lange wieder getrennt sind. Und dann waren wir auch schon am Museum für angewandte Kunst, vor dem ein riesiger, mit Luft gefüllter Affe saß. (Nein, kein Bänker.)

Wir kauften Tickets, verstauten unsere Rucksäcke und kicherten unangemessen über die Aufzuggestaltung. Auf der Ausstellungsetage angekommen war vor allem Diana auf Anhieb ziemlich happy, da das komplette Ausstellungsdesign in schwarz-gelb gehalten ist. (Für Menschen, die ähnlich Fußball-desinteressiert sind wie ich: das sind die Farben des BVB Dortmund.)

In der Ausstellung begleitet man Stefan Sagmeister auf seiner Suche nach Happiness. Klingt ein bißchen nach Selbstfindungstrip, ist auch ein bißchen so – inklusive der obligatorischen Meditationswoche inmitten gedreadlockter Mantra-SängerInnen. Los geht’s aber erstmal mit einigen Statistiken zum Thema Glück. Einige von ihnen durchaus fragwürdig, denn angeblich macht Menschen das Treffen von NachbarInnen glücklicher als das Treffen von FreundInnen, und der Besuch eines Gottesdiensts bringt mehr Freude als Sex. Das möchte ich natürlich niemandem absprechen, aber da war die Gruppe der Befragten vielleicht doch ein wenig speziell.

Nach der drögen Statistik (die dank der schicken Darstellung natürlich gar nicht dröge ist) kommen jede Menge Arbeiten und persönliche Anekdoten. Immer wunderschöne typographische Arbeiten, umgesetzt als Video, Installation, Animation, 3D-Rendering … Lauter Dinge, die Stefan Sagmeister in seinem Leben allgemein und bei seiner Suche nach Glück konkret so festgestellt hat. Das ist oft nichts Neues (gönn Dir Auszeiten; sei mutig; mach den ersten Schritt; verlass die Komfortzone; geh nicht von vornherein davon aus, daß irgendwas nicht klappt), aber immer sehr sympathisch und natürlich großartig gestaltet und extrem inspirierend.

Sämtliche Werkbeschriftungen und Zusatzinfos sind handschriftlich auf die Wände gekritzelt, und auch zwischendurch findet man überall wieder lustiges Gekrakel. Zum Beispiel auf Treppengeländern, den Spiegeln auf dem Klo oder in Form von Nachrichten, die aus Steckdosen zu kommen scheinen.

Man kann/darf/muß ganz schön viel selber machen: auf einem Fahrrad strampeln, um eine Neonröhren-Installation in Gang zu setzen; Kaugummis aus Automaten ziehen, um ein Balkendiagramm über die Glücklichkeit der Besucher zu erstellen; Tiere malen; Knöpfchen drücken; ein Bonbon essen.

Ziemlich grenzwertig fand ich, wie aus der Erfahrung „sich trotz extremer Schüchternheit durchringen, einer Person ein ehrlich gemeintes Kompliment zu machen, was letztlich beide Personen sehr glücklich zurücklässt“ eine Art Pickup-Story wurde, in der Herr Sagmeister unbedingt mit einer Telefonnummer einer Frau nach Hause gehen wollte.

Insgesamt ist das Ganze aber ein großer Spaß, der – wie die Wandbeschriftung erklärt – zwar nicht dazu führt, daß man nachts nicht mehr ins Kissen weint, aber immerhin für die Zeit des Besuchs sehr fröhlich macht.

Ganz inspiriert und voller Tatendrang nahmen wir jetzt endlich in Angriff, weswegen wir eigentlich gekommen waren: die Soße! Tapfer quetschten wir uns durch Tourigruppen, die in farbenfroher Regenkleidung den Bürgersteig vor unserer ausgewählten Lokalität säumten, und nahmen Platz bei Apfelwein Wagner. Wir orderten „Grüne Soße mit Bratkartoffeln und 4/2 Eiern“ (das kann man auf 2 kürzen, Speisekartentexter!) und es schmeckte famos und wir waren sehr glücklich.

Mit Bäuchen voller Kräutern und seligem Grinsen machten wir uns wieder auf den Weg. Inzwischen regnete es fast gar nicht mehr und wir spazierten ein bißchen durchs frühlingshafte Frankfurt, das in seiner Frühlingshaftigkeit schon deutlich weiter fortgeschritten war als die heimischen Gefilde. Zwischen lauter rosa Blütenmeeren machten wir einen Abstecher in den nuuna-Shop, in dem wir bei der verpeiltesten Verkäuferin der Welt je ein wunderschönes Notizbuch kauften, in das zumindest ich vermutlich nie etwas Schönes reinschreiben werde. (Meine zahlreichen anderen leeren Notizbücher können das bestätigen.)

Unterwegs fragte uns irgendein Passant, wo es denn wohl nach Alt-Sachsenhausen ins Kneipenviertel ginge. Nachdem wir ihn (völlig unabsichtlich, wirklich!) in eine falsche Richtung schickten, guckten wir erstmal selber auf unseren mobilen Endgeräten nach. Kneipe ist ja grundsätzlich nicht verkehrt. Also spazierten wir dorthin, und OH MEIN GOTT, wie verkehrt Kneipe sehr wohl sein kann! Alt-Sachsenhausen ist für Frankfurt offensichtlich das, was der Ballermann für Mallorca ist. In seinem ganzen Ausmaß konnten wir das Elend gar nicht wahrnehmen, weil viele der Kneipen Etablissements schäbigen Schuppen noch geschlossen hatten. Einer jedoch hatte geöffnet, die Preistafeln draußen verkündeten „Ficken 1,50“ und drinnen zog sich eine grölende Polonaise durchs Lokal. Es war etwa 4 Uhr nachmittags.

Von hinten näherte sich ein Junggesellenabschied (ebenfalls grölend, der Bräutigam im Bärenkostüm), also retteten wir uns in eine schummrige Seitengasse. Und dann geschah, was in schummrigen Seitengassen eben so passiert.

[gruselige Musik setzt ein]

Eine wahnsinnig nette Frau öffnete die Tür eines Ladenlokals und lud uns ein, doch mal reinzukommen, es sei eine Galerie und die Ausstellung liefe nur noch heute und wir dürften gerne mal gucken. Also guckten wir, bekamen ein bißchen was über den Künstler und das Viertel an sich erzählt. (Es wird wohl besser.) Das war sehr unerwartet und schön.

Nach dem Verlassen dessen, was man wohl gemeinhin euphemistisch als Amüsiermeile bezeichnet, watschelten wir noch ein wenig zwischen kleinen, flauschigen Gänsen am Main-Ufer auf und ab und machten Skyline-Fotos. Und weil so viel Schönheit (Gänsedaunen, blauer Himmel, Postkartenmotive) ja doch etwas zu viel des Guten ist, machten wir als letztes einen Ausflug ins Bahnhofsviertel, was einen daran erinnert, daß es noch was anderes gibt als glänzende Bankentürme und reiche SUV-Idioten und teure Anzüge. (Wie ich nachträglich beim Herumgoogeln feststellte, scheint aber auch hier die Gentrifizierung Einzug zu halten. Wer weiß also, wie lang man noch – zumindest mitten in der Stadt – erinnert wird.)

Im Plank nahmen wir noch ein paar Biere mit Aussicht auf das sehr bunte Treiben vor den Fenstern ein, versorgten uns dann beim Bahnhofsshopping mit flüssigem Reiseproviant und traten die Rückfahrt an, auf der wir das großartige Spiel Worttüftel in verschiedenen Schwierigkeitsgraden spielten (steigender Grad von Alkoholisierung, Mindestanzahl von Buchstaben, auf Englisch).

Erschöpft fielen wir in unseren jeweiligen Zuhauses ins Bett und träumten von Junggesellenabschieden grüner Soße.

Was wir gelernt haben:

1. Grüne Soße ist toll. (Hat Diana gelernt. Ich habe es noch mal bestätigen können.)
2. Immer in schummrige Seitengassen gehen.
3. Worttüftel mit mindestens 5 Buchstaben ist quasi unmöglich.

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